Sellmann setzte seinem NS-Vater seine Kunst entgegen - Hamburger Abendblatt

2022-10-17 20:06:38 By : Mr. Charlie Sun

Rolf Sellmann mit seiner Installation "Spatensoldaten"

Der Künstler Rolf Sellmann entdeckte, dass sein Vater ein Nazi war. Jetzt arbeitet er dessen Vergangenheit in seiner Ausstellung auf.

Norderstedt.  Das Haus atmet Vergangenheit. Tapeten aus den 70er-Jahren kleben noch an den Wänden, einige Kleinmöbel im altdeutschen Stil erzählen von bewohnten Zeiten, die Marmoroptik des runden Eichentisches Marke Gelsenkirchener Barock löst sich in ihre Bestandteile auf – zuviel Sonne im Wintergarten. Der eröffnet einen weiten Blick auf den Garten und auf die dahinter liegende Wiese bis zum Knick mit alten hohen Bäumen. Und auf 50 neue Spaten mit Holzstiel und roten Schaufeln. „Spatensoldaten“ heißt die Installation im Rasen, und folglich stehen die 50 Spaten exakt in Reih und Glied. Ein machtvoller und zugleich skurriler Auftritt.

Der 58jährige Künstler verlebte seine Kindheit und Jugend in dem Haus an Harthagen 5 in Norderstedt. Im Januar starb seine Mutter Elsa-Theadora Sellmann mit 90 Jahren, der 1919 geborene Vater Hans Sellmann starb 2001. Rolf Sellmann musste das Haus leerräumen, er lebt in Berlin und beschloss mit seiner Schwester den Verkauf des unbewohnten Hauses, zu dem dereinst ein Bauernhof gehörte.

Beim Leerräumen fand er im Keller alte Fotos seines Vaters, ein kleines Tagebuch, ein großes Schwert. Rolf Sellmann entdeckte die Vergangenheit seines Vaters, eine Vergangenheit, die für ihn stets tabu war.

Er war tief getroffen. Obgleich der Fund bestätigte, was er schon immer ahnte. Sein Vater Hans Sellmann war Nationalsozialist und von Hitlers Regime absolut überzeugt.

Mit den alten Fotos, dem Schwert und eigenen neuen Werken kuratierte der Sohn in den leeren Räumen eine Ausstellung unter dem beziehungsreichen Titel Home Again. Sie ist bis Sonntag, 21. Juni, zu sehen. Der Titel dokumentiert einmal, wieder zu Hause und zurück in der Kindheit zu sein, zum anderen aber auch, bei sich – und letzlich auch beim Vater – angekommen zu sein.

Ein Pfosten an der Terrasse mit einer in Plexiglas gegossenen Briefmarke dient als Titel der Spaten-Installation. Die Briefmarke des Deutschen Reiches zeigt einen lachenden, jungen Mann, der einen Spaten geschultert hat. Wie ein Gewehr. An den Wänden im leeren Wohnzimmer, auf die 70er-Jahre-Tapete gepinnt, weisen kleine, alte Schwarzweiß-Fotos mit dem typisch weißen Zackenrand auf den ursprünglichen Ideengeber zu den Spatensoldaten auf dem Sellmannschen Rasen: In Reih und Glied marschieren Soldaten mit Spaten über den Schultern zum Einsatz.

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„Mein Vater hat alle Fotos genau beschriftet. Die Spatensoldaten sind Arbeitsmänner aus dem Reichsarbeitsdienstlager Husum-Schwesing“, sagt Rolf Sellmann. Im September 1944 wurde es zum Außenlager des KZs Neuengamme mit teilweise bis zu 2500 KZ-Häftlingen in dem für 400 Männer eingerichteten Lager.

Auf einer Erklärung, die Sellmann neben das kleine Fotos hängte, ist die Funktion des Reichsarbeitsdienstes, RAD, erklärt, auch, dass der Spaten die Handarbeit der Soldaten dokumentiert, aber auch ein Gewehr symbolisiert.

„Alles war Ideologie, und mein Vater war tief in dieser Ideologie versunken“, sagt der Sohn. Er habe während seiner Kindheit und Jugend nie mit dem Vater über dessen Vergangenheit sprechen können. Sie war Tabu. So wie für viele der Täter, aber auch der Opfer der Hitler-Diktatur. Allein mit alten Kameraden, die sich manchmal in dem Haus trafen, habe sich der Vater über seine Erlebnisse im Krieg unterhalten.

„Ich habe damals als Kind so manches aufgeschnappt, aber nicht einordnen können, wusste aber, dass es nichts Gutes war“, sagt Sellmann. Er war immer auf Distanz zu seinem Vater.

„Doch als ich diese Fotos entdeckte, merkte ich, dass er doch ganz klein und verletzlich war“, sagt Sellmann. Die Fundstücke würden ihm jetzt den Dialog mit seinem Vater ermöglichen, der ihm bisher verwehrt war. Als Mittel wählte er die Gegenüberstellung der Fotos als Symbol der Nazi-Vergangenheit seines Vaters und seine Installationen als Antwort des Sohnes.

Neben seinem großformatigen Bild „This World – once and now“ hängte er das Schwert mit der Inschrift „Im Zeichen des Schwertes – 131. Infanterie-Division 1939-1945“. Neben „Brown Battlefield“ platzierte er auf einen Nachttisch ein Sammelalbum der Hitlerzeit mit Hakenkreuzfahne. Beide und weitere Werke sind ungegenständlich mit einer chiffrenreichen Bildsprache, die mit den Fundstücken korrespondiert.

In das Objekt „Broken“, ein aus zirka 7000 Holzwäscheklammern bestehendes Objekt, das von fern die Anmutung rotierender Walzen oder sich drehender Kettenräder eines Panzers hat, steckte er ein Foto seines Vaters von 1933 als 14jähriger Hitlerjunge. „Das System der NS-Gleichschaltung durch Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst und als Soldat hat bei meinem Vater hundertprozentig funktioniert“, sagt Sellmann.

Der Vater sei zwar nicht Mitglied der NSDAP gewesen, doch wie die meisten jungen Männer von der braunen Ideologie sofort begeistert: „Er hat eine Führungsperson gesucht und sie im ,Führer’ gefunden, doch die Indok­trination hat sein Selbstbewusstsein zerstört und sein eigenständiges Denken ausgeschaltet. Mein Vater ist damals emotional gestorben.“

1938 ging Hans Sellmann zum Reichsarbeitsdienst nach Husum, 1939, gleich mit Hitlers Überfall auf Polen, zog er in den Krieg und war auch in Kompanien in Dänemark, Belgien und Russland stationiert. 1945 kam er in amerikanische Gefangenschaft, Ende 1946 kehrte er nach Garstedt zurück, heute ein Ortsteil von Norderstedt, 1957 heiratete er in zweiter Ehe, 1958 wurde Sohn Rolf geboren.

Seine Ausstellung gebe ihm nun die Gelegenheit, den Dialog mit seinem Vater nachzuholen, der ihm als Jugendlicher verwehrt war. Er würde seinen Vater aber nicht wegen seiner NS-Begeisterung während des Hitler-Regimes verurteilen, sondern weil er der NS-Ideologie auch nach 1945 noch anhing.

„Mehrfach habe ich von ihm Sprüche wie ,Das hätte es unter Hitler nicht gegeben’ hören müssen“, sagt Sellmann. Die Ausstellung würde ihm durch die Gegenüberstellung der in den Fotos dokumentierten Vergangenheit seines Vaters mit eigenen Arbeiten helfen, zu verstehen, was mit seinem Vater geschehen ist.

„Beim Betrachten der Fotos habe ich verstanden, wie leicht labile junge Menschen für totalitäre Ideen bis zur Selbstzerstörung missbraucht werden können, und ich war meinem Vater so nahe wie noch nie in meinem Leben“, sagt Rolf Sellmann.

Die Ausstellung Home Again von Rolf Sellmann im Haus Harthagen 5 ist bis Sonntag, 21. Juni, dienstags bis freitags von 17 bis 20 Uhr, sonnabends und sonntags von 15 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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