Recycelte Materialien: Schöner Wohnen mit Schrott

2022-10-10 13:33:14 By : Ms. Sarah Zhu

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15.01.2020 · Ob Fußboden, Raumteiler, Stuhl oder Ziegel – immer mehr Designer tüfteln an neuen Werkstoffen aus Abfall. Selbst Urin wird zur Ressource. Hier sind fünf neue Materialien, die von sich reden machen werden.

Stoff­res­te als Hart­fa­ser­plat­ten

Kaum eine Branche verschmutzt die Umwelt so sehr wie die Bekleidungsindustrie. Mit „Really“ haben zwei dänische Schwergewichte – der Modeunternehmer Klaus Samsøe und die Textilfirma Kvadrat – nun ein Unternehmen ins Leben gerufen, das aus Alttextilien Akustikfilze und hochverdichtetes textiles Plattenmaterial hergestellt. Letzteres soll eine nachhaltige Alternative zu Produkten für Möbel und Innenräume bietet. Das „Solid Textile Board“ ist eine MDF-ähnliche Platte, die man sägen, fräsen, kleben und verschrauben kann. Die Baumwolle für die Produkte stammt aus dänischen Industriedampfwäschereien und von einem großen Stoffrecycler in Italien, die Wollfasern sind Produktionsreste von Kvadrat.

Die Textilien werden zerkleinert und in Fasern granuliert, die mit Hilfe von Dampfmaschinen zu Hartfaserplatten gepresst werden. Das „Solid Textile Board“ ist doppelt so stabil wie MDF. Allerdings, auch wenn Kvadrat keinen Preis nennt, kann man davon ausgehen, dass das Material deutlich teurer ist. Um das Potential des Materials zu zeigen, hat Really bereits mit Designern wie Benjamin Hubert, Raw Edges und Max Lamb zusammengearbeitet. Nach deren Entwürfen sind Regalsysteme, Stühle, Bänke und Raumteiler aus „Solid Textile Board“ entstanden, die selbst vollständig recyclebar sind. Der britische Designer Max Lamb sagte zur Zusammenarbeit: „Waste is just a resource at the wrong place.“ Abfall ist nur eine Ressource am falschen Ort.

Plas­tik zu Flie­sen

Designer setzen sich zunehmend mit der globalen Wegwerfkultur auseinander. Gerade Einwegplastik ist ein Problem: Kunststoff ist nämlich nie ganz weg – er ist höchstens außer Sichtweite. Kunststoffabfälle dringen zusehends in unsere geologische Landschaft ein. Zuweilen werden sie Teil von Gesteinssedimenten und bilden eine neue Art von Stein, der von der Geological Society of America als „Plastiglomerat“ bezeichnet wird. Als die Designerin Enis Akiev las, dass diese Art von Stein erstmals 2013 nach einem Vulkanausbruch auf einer hawaiianischen Insel gefunden wurde, wo Plastikmüll mit Gestein verschmolz, entstand ihr Bachelorprojekt an der Köln International School of Design. Sie entwickelte ein Verfahren, um Einweg-Kunststoffverpackungen in Fliesen zu verwandeln, indem sie den organischen Prozess der Gesteinsbildung nachahmt.

Metamorphe Gesteine wie Marmor entwickeln ihre fließenden, unregelmäßigen Muster durch Hitze und Druck. Akievs Plastiksteinfliesen werden ähnlichen Bedingungen ausgesetzt. Dazu sammelt sie Haushaltsmüll aus Mülltrennungsanlagen, sortiert ihn nach Farbe und Art des Kunststoffs, wäscht und trocknet ihn. In einem Ofen wird der Kunststoff geformt, ehe er geschnitten und geschliffen wird. „Durch Hitze, Bewegung und Druck – ähnlich wie in Felsformationen, aber wesentlich schwächer – kann ich sehr ähnliche Strukturen erreichen.“ Die Farben entstehen ausschließlich durch das Sortieren der Abfälle in passende Stapel. Es wird weder Farbe noch Bindemittel hinzugefügt. „Ich möchte den Wert des Materials steigern und ihm einen ästhetischen Wert geben“, sagt die Designerin. „Damit aus den Abfällen ein Produkt wird, das für lange Zeit geschätzt und aufbewahrt wird.“ 

Mehr als 200 Millionen Tonnen mineralischer Bauabfälle fallen jährlich in Deutschland an – fünf Millionen davon allein in Berlin. Rasa Weber und Luisa Rubisch vom Designkollektiv „They feed off Buildings“ sehen im Schuttberg eine Goldgrube – und ein Stück Geschichte. Für ihr Material „Urban Terrazzo“ geben die Designerinnen, die sich an der Berliner Universität der Künste kennenlernten, architektonischen Überresten ein neues Leben. Sie setzen Beton, Ziegel und andere Baumaterialien dafür nach den Prinzipien der traditionellen Terrazzobauweise zusammen.

Terrazzo wurde als Bodenbelag schon in der Antike genutzt; auch in den deutschen Nachkriegsjahren war das günstige Material beliebt. Schließlich war Geld knapp, hingegen Schutt reichlich vorhanden. Im Berliner Bauschutt von heute finden Weber und Rubisch vor allem Lausitzer Granit und Beton aus der Nachkriegszeit, in dem man wiederum Ziegelsteine als Zuschlagstoff verarbeitet hatte. In Italien ist es hingegen oft Marmor, alter Terrazzo oder Terrakotta. Die Designerinnen ließen eigens einen Ultra-Hochleistungsbeton entwickeln, der ihrem Terrazzo strukturelle Stabilität verleiht und als Bindemittel auch Stückwerk wie Kunstfasern oder Kupferrohr aufnehmen kann, die für gewöhnlich ausbrechen würden.

Gemahlene Pigmente aus alten Ziegelsteinen geben den Böden eine charakteristische Farbe. Noch produzieren sie nur kleine Mengen, zumal Bauschutt schon im Straßenbau recycelt wird – ihnen geht es um die Design-Perspektive, um Wertschätzung. „Wir glauben, dass jedes Gebäude seine eigene materielle Geschichte hat, die es wert ist, erzählt zu werden.“ Für ihr Projekt wurden die beiden Unternehmerinnen mit dem Bundespreis „Eco Design“ ausgezeichnet und waren Finalisten des German Design Award vom Rat für Formgebung.

Manche Chemiker sehen in Urin kein Abfallprodukt, sondern flüssiges Gold. Es gibt sogar längst Lösungen (etwa von den Marken Eoos und Laufen), um ihn in der Toilette abzufangen. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig, auch im Bau: Suzanne Lambert, Masterstudentin für Bauingenieurwesen an der Universität Kapstadt, zum Beispiel hat den global ersten Ziegel aus menschlichem Urin hergestellt. Die Steine entstehen durch einen natürlichen Prozess, der als „mikrobielle Karbonatfällung“ bezeichnet wird und etwa bei der Entstehung von Muscheln eine Rolle spielt. Für Lamberts Steine werden menschlicher Urin, loser Sand und ein Bakterium, das das Enzym Urease produziert, in eine Ziegelform gegeben.

Urease baut den Harnstoff im Urin ab und produziert dabei Kalziumkarbonat, auch bekannt als Kalkstein, den Hauptbestandteil von Zement. Dadurch kann der Sand in jede beliebige Form gebracht werden. Das Konzept, Harnstoff für die Ziegelproduktion zu verwenden, wurde vor einigen Jahren schon mit synthetischen Produkten in den Vereinigten Staaten getestet. Aber Lambert hat nun zum ersten Mal menschlichen Urin genutzt. Während normale Ziegel bei sehr hohen Temperaturen gebrannt werden müssen, härten Lamberts Ziegel bei Raumtemperatur aus – je länger die Bakterien arbeiten dürfen, umso härter wird das Produkt. Darüber hinaus entstehen beim „Bio-Brick“- Verfahren als Nebenprodukte Stickstoff und Kalium, die wichtige Bestandteile von handelsüblichen Düngemitteln sind.

In der Schmuckindustrie wird Gold seit Jahrhunderten recycelt, bei Elektroschrott gestaltet sich das schwieriger. Dabei ist in einer Tonne alter Computer so viel Gold zu schöpfen wie in 17 Tonnen Erz. „Die menschliche Gier nach Metallen ist so stark gewachsen, dass bis 2080 die größten Metallvorkommen nicht mehr unter der Erde liegen werden“, prognostizieren die Designer Andrea Trimarchi und Simone Farresin vom Studio Formafantasma. Mit dem Projekt „Ore Streams“ will das Design-Duo, das für seine Materialexperimente bekannt ist, einen verantwortungsvolleren Ansatz im Design von Elektronikprodukten fördern. Kernstück ist eine Sammlung pastellfarbener, CNC-gefräster Büromöbel.

Tische, Mülleimer, Schränke, Schreibtische, Stühle und Lampen sind fast vollständig aus Elektroschrott gemacht. In einem der Schränke ist eine Schublade, die aus einer Mikrowelle besteht, der Mülleimer ist mit Gold ausgekleidet, das aus Leiterplatten gewonnen wurde. Tatsächlich sind diese Stücke aber nur ein kleiner Teil der dreijährigen Materialstudie, die Formafantasma im Auftrag der Australischen National Gallery of Victoria anfertigte. In Interviews, Essays und Videos dokumentieren sie auf der Seite orestreams.com den Recyclingprozess von Elektronikschrott und erörtern Probleme bei der Produktgestaltung. Denn fast alles, was auf den Müllhalden oder in den Gewässern dieser Welt landet, ist irgendwann mal entworfen worden.

Recycelte Materialien: Schöner Wohnen aus Schutt und Schrott

Schöner Wohnen aus Schutt und Schrott

Ob Fußboden, Raumteiler, Stuhl oder Ziegel – immer mehr Designer tüfteln an neuen Werkstoffen aus Abfall. Selbst Urin wird zur Ressource.

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