Aus Liebe zum Beruf: Bildhauer lebt seit 22 Jahren in Werkstatt - dhz.net

2022-10-16 19:57:17 By : Mr. Buffon Liu

Ein klassischer Handwerker ist Harald Scherer nicht. Nach seinem Studium für Bildhauerei 1989 war ihm klar, dass seine berufliche Karriere nicht mit tagelanger Schreibtischarbeit enden soll. Vor mehr als zwei Jahrzehnten machte er Nägel mit Köpfen und zog mit all seinem Hab und Gut in seine Werkstatt nach Würzburg. 

Es ist zehn Uhr an einem Dienstagmorgen. Mit erster Kraft kämpft sich die Sonne vor eine verschleierte Wolke und schenkt Hoffnung auf einen warmen Tag. Angenehm scheint sie auf den Außenbereich des Milchhofs – dort, wo Harald Scherers Werkstatt zu finden ist. Das Gelände betritt man durch einen quadratischen Toreingang. Unbearbeiteter Marmor, 230 Millionen Jahre alter Muschelkalk und cremefarbener Sandstein stapeln sich rechts neben dem Eingang unter einem heranwachsenden Baum. Die Ruhe des alten Gesteins scheint auf die Stimmung des Innenhofs überzugehen. An dem Steinhaufen vorbei führt eine schmale Treppe hinauf zu Scherers Werkstatt. Am Geländer lehnen massive Eichenbaumstämme. In grauer Arbeitshose, blauem T-Shirt und einem breiten Grinsen kommt Harald Scherer aus seiner Werkstatt. Sein Lächeln verrät: zusammen mit der Bildhauerei ist dieser Ort mehr als nur ein Beruf, es ist seine Berufung. 

Der Milchhof ist ein altes Gewerbeareal mitten in Würzburg. Die alte Backsteinfassade und eine ein Meter hohe Rampe erinnern an die vergangene Zeit. Heute wird die Rampe von Scherer als Terrasse genutzt. Drei Stühle – keiner gleicht dem anderen – stehen im Halbkreis um einen kleinen Tisch und warten darauf, besetzt zu werden. Scherer schaut sich um und schlägt dann den Weg in seine Werkstatt ein. "Seit 22 Jahren bin ich nun schon hier." Damit meint er nicht nur sich und seine Werkstatt: Im Jahr 2000 ist er mit all seinem Hab und Gut hier eingezogen. 

Die Temperatur wird mit jedem Schritt in die Werkstatt spürbar kühler. Ein würziger Holzgeruch liegt in der Luft. Die Sonne scheint durch drei große, milchige Fenster am anderen Ende des Raums. Trotz der Sonnenstrahlen ist es dem Holzbildhauer zu dunkel. Kurze Zeit später brummen helle Neonröhren an der Decke. 

Beim Reingehen fällt der erste Blick auf eine kleine Kreissäge mit roter Schutzbedeckung. Daneben steht eine Hobelmaschine, weniger als einen Meter lang. "Für das was ich mache, reicht das allemal", meint Scherer. Hinter den beiden Maschinen stapelt sich ein großer Berg aus Eichen-, Eschen-, Zedern-, Ahorn- und Lindenholz. Alles Reste und Übungsstücke, die der gelernte Steinmetz für anstehende Workshops sammelt. Hinter den Maschinen führt eine Tür in sein Schlafzimmer.

Mittlerweile hat Harald Scherer Klöpfel und Eisen in der Hand. "Das sind die beiden wichtigsten Werkzeuge in der Holzbildhauerei. Ohne die geht gar nichts." Er stellt sich vor eine mannsgroße Skulptur, die auf einem Sockel ruht. Der würzige Geruch wird intensiver. "Das kommt vom Zedernholz", erklärt Scherer. Risse, Verfärbungen und Astlöcher zeichnen das lang-fasrige Holz. Breitbeinig legt er das Eisen an und klopft los. Die Stellen, die er bearbeiten möchte, hat er davor mit Bleistift markiert. Auf einmal fliegen große Holzspäne quer durch die Luft. Die Geräuschkulisse wird lauter – jeder Schlag lässt die Luft im Raum vibrieren. Scherer wird still. Er scheint auf seine Art mit der Skulptur zu kommunizieren. Locker folgt sein Körper seinen Klopfbewegungen. Von unten nach oben trägt er Material ab. "Das hier ist eine freie Arbeit. Ein persönliches Projekt, an dem ich schon Jahre arbeite. Aber fertig ist es immer noch nicht." Er lächelt die abstrakte Skulptur an, als wüsste sie, wovon er spricht.

Drei Meter hinter dem beschäftigten Handwerker steht ein weißes Klavier. Das Musikinstrument verrät, dass der Handwerker hier zu Hause ist. Auf und neben dem Klavier stapeln sich kreuz und quer Zeitungen, Flyer und Fachliteratur über Kunst und Skulpturen. Scherer greift zu einem gelben Buch mit rauem Band und zieht es heraus. "Das hier ist Henry Moore. Den sollte jeder kennen." Picasso, Bammes und Brancusi liegen auf dem Stapel daneben.

Das Interesse des 63-jährigen für Kunst kommt nicht von irgendwo: 1983 studierte er vier Semester lang Kunstgeschichte in Freiburg. Danach wechselte er auf eine Kunstakademie – studierte Bildhauerei. Das Studium war für ihn aber nicht das Richtige. "Ich dachte immer, ich bin hier falsch", erzählt er mit nachdenklichem Blick. Er sei ihm alles zu theoretisch und zu engstirnig gewesen. Die Methoden hätten nicht zu ihm gepasst. Deshalb beschloss er, die akademische Laufbahn hinter sich zu lassen. Scherer klappt den Band zu und steckt ihn zurück zu den anderen Büchern. Alles hat seinen Platz.

Für heute hat er genug an der Zedernholz Skulptur gearbeitet. Neben seinen freien Projekten warten noch andere Aufgaben auf ihn: "Neulich war eine Schulklasse für ein Kunstprojekt bei mir. Das hier ist das letzte Brett, dass ich heute noch ölen muss." Scherer greift nach einem bunt bemalten Eichenbrett und legt es auf zwei selbstgebaute Böcke. Gemächlich geht er zu einem drei-türigen Spint am anderen Ende des Raums und kommt mit Handschuhen, Pinsel und einer silbern schimmernden Dose zurück. Er schaut auf: "Halt, stopp, da fehlt noch was!" Er eilt in die Küche, die sich hinter einer Fensterfront am linken Ende des Raums befindet. Plötzlich spielt die Jazz-Band "Weather Report" ihr Lied "Birdland" gut gelaunt durch zwei große, schwarze Musikboxen. Die Saxophone-, Bass- und Klaviertöne werden von einer alten Schallplatte abgespielt. "Ich liebe Jazz", gibt Scherer zu. "Und Bach." 

Zurück am Arbeitsplatz öffnet der Musikliebhaber die silberne Öl-Dose. Ein chemischer Geruch steigt in die Nase. Großzügig und mit handwerklichem Geschick trägt Scherer die ölige Lackierung auf die letzten freien Stellen des Eichenbretts auf. 

Mittlerweile scheint die Sonne draußen mit mehr Kraft. Die warme Luft des Innenhofs macht sich langsam in der Werkstatt breit. Scherer blickt sich um. Für ihn ist seine Werkstatt in der Bergmeistergasse 6a ein besonderer Ort. "Das hier ist meine Art zu Leben und zu Arbeiten. Hier gehöre ich hin." Seit Jahren mache er das, worin er aufgeht. Er nimmt das geölte Brett und stellt es zum Trocknen in den Eingangsbereich. Zufrieden atmet er tief ein und aus. Jetzt ist erstmal Mittagspause. 

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Reportage-Projekts des Master-Studiengangs Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt entstanden. Kooperationspartner war die Deutsche Handwerks Zeitung.

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