Mies van der Rohe: Die Phantome des Bauhausmeisters

2022-10-13 09:30:19 By : Ms. juan yang

Mies van der Rohe ist die Ikone der modernen Architektur. Auch seine Denkmalsideen waren keine Nebensache, sondern vor allem Selbstdarstellung.

Mies baute mit Stein, Stahl, Glas – und Licht. Und so sind sein Nationalgalerie-Tempel an der Potsdamer Straße von 1968 und das im Jahr 1933 für das Fabrikanten-Ehepaar Lemke im Stil des „Neuen Bauens“ errichtete Haus am östlichen Stadtrand Berlins längst Pilgerorte für Architekturfans aus aller Welt. Mies van der Rohe (1886–1969) wollte sich zudem auch mit Mahnmal-Entwürfen selbst ein Denkmal setzen.

Alte Ostberliner kennen es: das ruinöse Fragment aus rötlichen Klinkern hinter den Gräbern von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und den anderen im Januar 1919 ermordeten Kämpfern des Spartakusaufstandes auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Dieser Gedenkort war zur DDR-Zeit Kritikern des Regimes eher eine staatlich verordnete „Kranzabwurfstelle“. Einst befand sich an dieser Stelle das begehbare „Revolutionsdenkmal“. Mies van der Rohe hatte es 1926 entworfen, finanziert durch Spenden, unter anderem auch von Käthe Kollwitz. Sieben Jahre später wurde es Hassobjekt der Nazis. An den Ikonoklasmus erinnert noch eine Dokumentationsattrappe, 1982 aufgestellt vom Ost-Berliner Magistrat.

Wenn auch von sinnlos waltenden rohen Mächten zerstört, war es das einzige jemals realisierte der drei von Mies entworfenen Denkmäler. Das Hohenschönhausener Mies- van-der-Rohe-Haus, seit den 90er-Jahren beliebtes Architektur- und Kunstmuseum des Stadtbezirkes Lichtenberg, widmet sich jetzt diesem Ehrgeiz des Bauhausmeisters. Im einstigen Wohnzimmer im „Haus Lemke“ wird das „Revolutionsdenkmal“ – mit rotem Stern, sowjetischem Hammer-und-Sichel-Emblem – zur imposanten Wandcollage. Der Architekturhistoriker Simon Behringer hat die Inszenierung des Monuments samt Skizzen und historischen Fotos von Demonstrationen der Rot-Front Kämpfer um KPD-Chef Ernst Thälmann mit „Sinnbild der Masse“ überschrieben.

Man geht quasi hinein in diese quadratierte Klinkermasse, sozusagen aus der Richtung des Grabfeldes 64 auf dem Zentralfriedhof, im schnodderigen Berliner Volksmund „Verbrecherecke“ genannt. Denn dort lagen die Kommunarden begraben. Mies hatte das Mahnmal als wuchtige Skulptur entworfen. Fünfeinhalb Meter hoch, vier Meter breit, aus rhythmisch vor- und zurückgesetzten Klinkerquadern, aufgeschichtet wie Särge. Sozusagen ein gewaltiger Grabstein für die 1919 heimtückisch ermordeten Spartakisten. Das mauerartige Monument wurde realisiert von Steinmetzen der Bauhütte Berlin.

Für die Nazis war der Architekt Mies van der Rohe ein Kommunistenfreund, obwohl er 1934, recht opportunistisch, in die Reichskulturkammer eingetreten war. Aber das nützte nichts. 1935 zerschlugen NS-Horden das bereits 1933 geschändete Klinkerdenkmal bis auf die Grundmauern. Und 1937 wurde Mies aus der Kulturkammer geworfen. Nun war auch er ein „Entarteter“. Dabei sah er sein Mahnmal nicht als Bekenntnis zur sozialistischen Räterepublik, sondern universaler, als künstlerische Umsetzung des Gedenkens an die Opfer willkürlicher Gewalt. Mit seiner Fehleinschätzung der politischen Situation war er seinerzeit ja nicht allein. Erst durch seine Reise 1938 in die USA – es verlockte die Berufung zum Hochschullehrer in Chicago – wurde er zum Emigranten.

Inzwischen setzen sich Berliner Architekten und Kulturschaffende für die Rekonstruktion des „Revolutionsdenkmals“ am alten Ort ein, derweil Mies' andere beiden Denkmalideen für immer Phantome bleiben dürften: Im Wintergarten des Ausstellungshauses am Obersee wuchtet eine mächtige, gleichsam antike Tempelburg von der Wand herab. Der Architekturhistoriker Jan Maruhn fand dafür den Titel „Das Denkmal als Palast“. Als Mies van der Rohe sich 1910 für das Bismarck-Ehrenmal bewarb – übrigens taten es ihm seine Kollegen Gropius und Poelzig gleich –, wimmelte es in deutschen Landen nur so von Monumenten für den Reichsgründer. Der vier Jahre später beginnende verheerende Erste Weltkrieg schien noch fern. Staatstragendes und Modernes bildeten für den ruhmsüchtigen jungen Baukünstler keinen Gegensatz.

Ganz ähnlich ist die Wirkung der Mies-Entwürfe für seine 1930 eingereichte Idee zum Umbau von Schinkels Neuer Wache – als Umwidmung zum Gedenkort für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.  Für den Architekten Dietrich Neumann ist der Entwurf „nicht viel mehr als ein leerer Raum“. Heute kennt jeder die Neue Wache mit der ins Überdimensionale „aufgeblasenen“ bronzenen Pieta, einem kleinen Meisterwerk der Käthe Kollwitz. Wir laufen quasi hinein in die in Graugrün getauchte Wandcollage eines leeren Innenraums. Ein flacher Stein, obenauf das deutsche Wappen, seitlich die Inschrift „DEN TOTEN“. Mies wollte dieselben Materialien benutzen wie für seinen Barcelona-Pavillon: der Boden aus hellgrauem Travertin, die Wände aus grünem Marmor von der griechischen Insel Tinos. Immerhin erkannte die Jury ihm damals den zweiten Platz zu, Gewinner aber war der Reformarchitekt Heinrich Tessenow.

Denkmalkunst, das erleben wir im von der engagierten Kunsthistorikerin Wita Noack  geleiteten Mies-Haus am Obersee, war ihm keineswegs Nebensache. Sein Sinnen und Trachten galt der Synthese von Architektur und ebenbürtiger Bildhauerei. Und sie war Mittel seiner Selbstgewissheit. Seht her: Wo Mies drauf steht, da ist vor allem Mies drin!

Mies-van-der-Rohe-Haus, Oberseestr. 60, Hohenschönhausen, bis 26. März 2023, Di–So 11–17 Uhr. Bei „Form+Zweck“ erschien das Handbuch „Baubilder und Erinnerungsmuster“, 20 Euro.