Gioia Russi aus Bürglen schreibt im Klub der jungen Dichter über ein geheimnisvolles Haus und die Suche nach einem wertvollen Edelstein. .
Das Haus sah verlottert aus, die Namen an den Klingelschildern waren unlesbar. Ich drückte gegen die Haustür, unverschlossen. Zögernd stiess ich die Tür auf, das Knarren deutete auf Verlassenheit hin. Als ich über die Türschwelle trat und aufsah, verschlug es meine Sprache. Ich stand in einer riesigen Eingangshalle aus perlweissem Marmor, so prunkvoll und hoch wie ich es noch nie gesehen hatte. Die Decke war voller Monarchfalter, leuchtend orange wie ein Sonnenuntergang und auf dem weissen Marmorboden stolzierten Pfaue.
Erst als ich mich satt gesehen hatte, bemerkte ich den kalten Wind, der mir entgegen schlug und ich blickte zurück und hielt inne. Die Tür, durch welche ich eben erst eingetreten bin, war verschwunden. Ich tastete panisch die Wand ab, nichts als kalter, weisser Marmor. Just in dem Moment, als sich mir die Haare im Nacken aufstellten, sah ich einen blutroten Anorak. «Das ist meine Rettung», seufzte ich erleichtert auf. Mit eiskalten Händen ergriff ich den samtweichen Stoff und zog ihn über. Die Neugierde überkam mich und ehe ich mich versah, lief ich langsam die Treppe hinauf. Das Geländer war aus weissem Marmor, überzogen mit Gänseblümchen aus Gold. Die Stufen waren sehr breit. Als ich nach oben blickte, sah ich nichts als Treppenstufen. Ich hatte nicht bemerkt, dass in der Zwischenzeit schwarzer Rauch um mich waberte. Der Rauch, schwarz wie die Nacht, schnürte mir die Luft ab. Plötzlich fiel ich. Es war ein ganz neues Gefühl. Ich fiel und es wurde wieder klarer vor meinen Augen.
Plötzlich stand ich unter einem Apfelbaum. Dieser ragte hoch in den Himmel und man sah ihm an, dass er schon manches Gewitter überstanden hatte. Nördlich von ihm lag ein unauffälliger Weiher. Ich blickte Richtung Westen, wo schon langsam die Sonne unterging. Der Himmel färbte sich honig-gelb.
Aus dem Nichts erschallte eine Stimme, eine hohe, aber angenehme Stimme. Sie sagte: «Finde den rubinroten Stein, der rubinrote Stein führt zum Ziel.» Verwirrt blickte ich umher, doch ich sah niemanden. Nach kurzem Überlegen jagte ich den Hügel, Richtung Weiher, hinunter auf dem dieser gewaltige Apfelbaum stand. Als ich am Ufer des Weihers kniete und die stille, mitternachtsblaue Wasseroberfläche berührte, fiel ich in das Gewässer. Das Wasser um mich herum war eiskalt und es stiegen kleine, schimmernde Luftbläschen auf. Ich öffnete meine Augen und versuchte mich zu orientieren. Ich blickte auf den Grund, der schätzungsweise neun Meter unter mir lag. Bei genauerem Hinsehen stutzte ich, dort unten auf dem dunklen, sandigen Grund funkelte es rot, rubinrot. Unten fing ich an zu graben, doch der Sauerstoff in meinen Lungen wurde knapp. Also stiess ich mich vom Boden ab. Ein tiefer Luftzug und ich tauchte erneut auf den Grund. Mit grossen Bewegungen, die Augen auf das rote Funkeln gerichtet.
Endlich am Grund angekommen buddelte ich im Sand, in der Hoffnung diesen Stein aufzufinden. Mit hastigen Bewegungen scharrte ich weiter, das Funkeln wurde heller. Bis ich auf etwas Hartes stiess.
Zurück auf festem Grund ertastete ich etwas Hartes, Kaltes in meiner linken Hand. Noch immer schockiert öffnete ich meine zitternde Hand. Da lag er, der rubinrote Stein. Ich hatte noch nie zuvor so etwas Schönes gesehen. Der Stein war oval und geschliffen, ein echter Rubin. «Ich habe es geschafft!», flüsterte ich glücklich. Meine Hand schliessend schrie ich auf, es fühlte sich an, als wäre meine Handfläche verbrannt worden.
Immer noch schreiend schreckte ich in meinem Bett auf. «Ein Traum», dachte ich beruhigt, «es war nur ein Traum.» Doch als ich auf meine linke Handfläche schaute, leuchtet dort ein ovales, rubinrotes Brandmal!