Als Betonklotz geschmäht, als Juwel der Moderne gelobt: Das Minsk ist wieder da

2022-10-09 15:02:38 By : Ms. Anna Chen

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Das Terrassenrestaurant Minsk gehörte zu Potsdam wie das Ahornblatt zu Ost-Berlin. Von Hasso Plattner gerettet und saniert, öffnet es als Galerie für DDR-Kunst.

Potsdam - Die Zeichen standen streng auf Abriss im Potsdam des Jahres 2015; das Ende des Terrassenrestaurants Minsk schien unabwendbar. Der Antrag der Bürgerinitiative Pro Brauhausberg e. V. von 2011, das einzigartige DDR-Bauwerk samt der daneben gelegenen Schwimmhalle mit ihrem schwungvollen Dach unter Denkmalschutz zu stellen, war gescheitert, ebenso der Versuch, das Haus als Kindertagesstätte zu nutzen und so zu retten.

Das Minsk, architektonisch und entstehungsgeschichtlich einer der interessantesten Bauten der Ost-Moderne, sollte dasselbe Schicksal erleiden wie in Berlin zuvor der populäre Palast der Republik, das grandiose Ahornblatt oder die eleganten Seeterrassen am Fennpfuhl. Auch am Minsk kam die im Immobilienmilieu bewährte Methode zum Loswerden missliebiger Bauten zum Einsatz: Leerstand und Vernachlässigung, bis die Verwahrlosung so offenkundig ist, dass der Widerstand gegen den Abriss erlahmt.

Anfang der 1990er-Jahre hatten Politiker das geräumige Minsk noch gern genutzt, lag es doch fußläufig vom „Kreml“, vormals SED-Bezirksleitung mit markantem Turm, wo in den Nachwendezeiten der Landtag seinen Sitz hatte. Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) lud im November 1992 zur Halbzeitbilanz seiner Ampelkoalition zum Pressefrühstück ins Minsk; die Landes-SPD veranstaltete dort 1999 ihre Wahlparty.

Aber zu dieser Zeit war der Niedergang längst unübersehbar; die Zeitungen berichteten über Massenprügeleien von Jugendlichen in der Diskothek. Ab 2004 stand das Haus leer, der Beton bröckelte, Schmierereien bedeckten die Fassade, durch die eingeschlagenen Fenster drangen Diebe ein und plünderten die Einrichtung des Restaurants.

Dabei war dem Potsdamer Bürgermeister Jann Jakobs, gebürtiger Ostfriese, die Bedeutung des Restaurants Minsk für die Seele der Stadt durchaus bewusst: Nach 16 Jahren Amtszeit, in der er den Niedergang des Gebäudes erlebt hatte, antwortete der Sozialdemokrat 2018 auf die Interviewfrage, ob er sich Potsdamer nennen dürfe: „Auf gar keinen Fall. Das darf nur, wer in der Garnisonkirche getauft oder in der Friedenskirche konfirmiert wurde oder Jugendweihe im Restaurant Minsk gefeiert hat.“

Ausgerechnet ein Vertreter des in Potsdam nach der Wende angesiedelten Großbürgertums, das sich eigentlich dem Wiederauferstehen des preußischen Barocks verschrieben hat, trat schließlich buchstäblich im letzten Moment als Retter des DDR-Juwels auf: der Software-Milliardär und Kunstmäzen Hasso Plattner, der mit seiner Familie in Potsdam lebt und ein innovatives IT-Institut betreibt. Die Hasso Plattner Foundation hat schon im mit neuem Kern und alter Fassade wieder aufgebauten Palais Barberini eine Kulturstätte erster Ordnung geschaffen.

Plattners ernstes Interesse, das Minsk zu kaufen, zu sanieren und dort dauerhaft seine beträchtliche Sammlung von Malerei und Plastik aus der DDR zu zeigen und auch Künstlern aus der Region Ausstellungen zu ermöglichen, bewog die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung 2018, die Abrisspläne zu stoppen.

Im April 2019 stimmten die Abgeordneten dem Verkauf mit großer Mehrheit und ohne Gegenstimme zu und wendeten damit eine Schande von der Stadt ab: die ins Auge gefasste dichte Bebauung am Fuße des Brauhausberges mit hochpreisigen Appartementhäusern. Ein Investor wollte 27 Millionen Euro für das Grundstück zahlen. Die Plattner-Stiftung soll es für 20 Millionen Euro bekommen haben.

Am 24. September 2022 steht nun endlich die Wiedereröffnung an. Dann wird das Publikum in der Ausstellung „Der Nachbar will fliegen“ zuerst dem großen ostdeutschen Maler und Bildhauer Wolfgang Mattheuer begegnen. In einer zweiten Ausstellung zeigt Stan Douglas Fotos von Potsdamer Schrebergärten, aufgenommen Anfang der 1990er-Jahre.

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag 10 bis 19 Uhr. Adresse: Max-Planck-Straße 17, 14473 Potsdam, wenige Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof Potsdam Kontakt: 0331-236014-699, www.dasminsk.de

Mit Sicherheit wird auch das sanierte Bauwerk großes Interesse finden. Kennern des ursprünglichen Gebäudes wird auffallen, dass die markante rote Linie, die sich horizontal entlang der Balustrade zieht, jetzt dem roten ICE-Streifen ähnelt: Im Original zog sich dort ein filigranes, an belorussische Folklorestickerei erinnerndes Ornamentband aus gläsernem Mosaik über die weiße Wand.

Das Minsk zählte nämlich zur Serie der Nationalitätenrestaurants, die jede DDR-Bezirksstadt in den 1970ern bekam. Leipzig hatte sein „Kiew“, Berlin sein „Moskau“ und Rostock sein „Riga“. Potsdam pflegte eine Städtepartnerschaft mit Minsk, in der Hauptstadt der belorussischen Sowjetrepublik entstand das Restaurant Potsdam. Auf den Speisekarten standen typische Gerichte des jeweiligen Partnerlandes.

Der Architekt des Restaurants Minsk, Karl-Heinz Birkholz, wählte als weitere Verweise auf die Partnerstadt ziegelrotes Verblendmauerwerk, dunkelbraune Aluminiumfenster mit Schmuckglasscheiben und hellgraue Kunstschmiedegitter. Eine große Leuchttafel zeigte das Stadtwappen von Minsk.

Die Gestaltung der Innenräume übernahm ein Künstlerkollektiv aus der Partnerstadt. Besondere Materialien wurden aus Weißrussland herbeigeschafft: Den Eingangsbereich mit Garderobe im Erdgeschoss schmückte geflammter Marmor, das Restaurant erhielt Lampen aus Kupfer und Schnitzereien aus wertvoller belorussischer Mooreiche. Diese Kunstwerke wurden zu großen Teilen nach der Schließung des Restaurants Minsk gen Rathenow geschafft und in der Küche eines dort ausgestellten traditionellen brandenburgischen Lastkahns eingebaut.

Das von der volkseigenen Handelsorganisation HO betriebene Restaurant im Minsk mit 90 Plätzen befand sich im Obergeschoss; eine Bar bot Platz für 35 Gäste, ein Selbstbedienungsrestaurant konnte 40 Personen aufnehmen. Sehr beliebt: die dem Obergeschoss vorgelagerte Terrasse mit weitem Blick über die Stadt mit 120 Plätzen. Man versteht sofort, warum viele Familien den Ort für Feiern nutzten – zum Beispiel für die Jugendweihen.

Der Brandenburger Architekt Karl-Heinz Birkholz bezog die formidable Lage am Hang oberhalb der Havel meisterlich in die architektonische Gestaltung ein. Die zwei Geschosse des futuristischen Stahlbetonskelettbaus liegen gestaffelt in der Neigung des Geländes. Auf dem Flachdach wäre Platz für ein weiteres Café gewesen, doch dafür reichten die – für dieses Ausnahmeprojekt großzügig bemessenen – Finanzen dann doch nicht mehr. Eine gewinkelte Freitreppe, die hinunter führte zu Wasserbecken mit Fontänen und Grünanlagen, ergänzte die weitläufigen Außenanlagen.

1977 eröffnete das Minsk, nebenan erfreute sich die elegante Schwimmhalle großer Beliebtheit. Sie ist längst abgerissen und durch einen wuchtigen Bade-Kasten ersetzt. Zur zweiten Eröffnung als Kunsthaus Minsk ist der inzwischen hochbetagte Architekt Karl-Heinz Birkholz eingeladen. Man würde sich über seine Anwesenheit sehr freuen, sagte Pressesprecher Denhart von Harling der Berliner Zeitung.

Er kann sein Werk nun gerettet ansehen, wennzwar nicht in allen Details: So sind neben den roten Ornamentbändern auch die großen Fenster im Obergeschoss leicht verändert. Doch das Wesen des Hauses, die Leichtigkeit, die Offenheit, ersteht wieder auf. Im Innern, so Denhart von Harling, folgten die Gestalter vom Architekturbüro Linearama aus Genua zwar nicht der Erstgestaltung durch die Minsker Künstler, aber es gibt Reminiszenzen an das alte Minsk wie die große Wendeltreppe und der abgerundete Bartresen an Originalstelle. An der Ausstattung beteiligt waren auch die Hedwig-Bollhagen-Werkstätten im brandenburgischen Marwitz, nicht weit von Potsdam gelegen.

Die Hasso Plattner Foundation entschloss sich zum Glück für die Beibehaltung des Namens: Nun heißt es „Das Minsk Kunsthaus in Potsdam“. Wie in seinem ersten Leben wird es auch wieder neben den Ausstellungen Konzerte, Lesungen und Performances geben. Der Name weckt seit den Protesten gegen den Wahlbetrug in Belarus im Jahr 2020 auch Erinnerungen an die kreativen, vor allem von Frauen getragenen Demokratiebestrebungen.

Wolf R. Eisentraut, der Architekt der liquidierten Berliner DDR-Bauten Seeterrassen am Fennpfuhl, Kino Sojus oder die Galerie M in Marzahn und verantwortlich für den Mittelteil des Palastes der Republik, sagte 2020 der Berliner Zeitung, man habe nach der Wende „gebaute Qualität ohne Not weggeworfen“ und durch Schlechteres ersetzt. Das geschah in Potsdam im Fall Minsk nicht.

Günther Jauch, Neu-Potsdamer, Quiz-Moderator und großzügiger Spender für die Wiederbelebung des preußischen Potsdam, sprach einmal in der hitzigen Architekturdebatte vor etwa zehn Jahren mit Blick auf die Ostbauten von „sozialistischer Notdurft-Architektur“. Karl-Heinz Birkholz litt, wie er in einem Interview von 2013 bekannte, unter solchen Schmähungen. Der Abriss seines bedeutendsten Werkes schien nahe und der damals 83-Jährige beschrieb, mit Tränen kämpfend, seine Wut über den damaligen Baudezernenten Matthias Klipp (Grüne), der auf einer Veranstaltung mit Blick auf das Minsk von „diesem Betonklotz“ gesprochen habe. Den Kunsthistoriker Christian Klusemann hatte es hingegen an Bauwerke Mies van der Rohes erinnert.

Mit Birkholz, dem Schöpfer, hatte über all die Jahre niemand aus dem Potsdamer Rathaus gesprochen. Das Übliche also. Schön, wenn inzwischen nicht alles schlechter wird.

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